Fachkräfte­einwanderungs­gesetz: Chancen für alle?

Eine diverse Gruppe Menschen in einem Seminarraum
Fachkräfte­einwanderungs­gesetz: Chancen für alle?
Autorin: Mae Becker 13.06.2024

Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz (kurz FEG) erleichtert es Menschen aus dem Ausland, in Deutschland Fuß zu fassen. Im Juli 2023 wurde es vom deutschen Bundesrat verabschiedet und tritt seit November letzten Jahres sukzessive in Kraft. Neuerungen gab es am 1. Juni 2024: Seither erleichtert die sogenannte West­balkan­regelung Staats­angehörigen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Nord­mazedonien, Montenegro und Serbien den Zugang zum deutschen Arbeits­markt. Zudem wurde die Chancen­karte eingeführt. Mit ihr können Bewerber*innen aus Nicht-EU-Ländern ein Jahr in Deutschland leben, um eine Arbeits­stelle zu suchen. Bislang musste ein Anstellungs­vertrag bereits vorliegen, um überhaupt nach Deutschland kommen zu können. Zudem erschwerten komplizierte Einreise­verfahren die Zuwanderung qualifizierter Arbeits­kräfte.

Welche Vorteile das neue Fach­kräfte­einwanderungs­gesetz für Zuwander*innen hat und wo noch Luft nach oben ist, erklärt Ekin Polat im Interview. Sie ist stellvertretende Projekt­leiterin bei „Handbook Germany : Together – Zentrale digitale Anlaufstelle“. Das Projekt hilft Neu­ankömmlingen, in Deutschland Fuß zu fassen. Im Rahmen zweier Veranstaltungs­reihen beantworteten das Team des Projekts und Expert*innen der Beratungsstellen die Fragen der Einwanderer-Community.

Frau Polat, das neue Fach­kräfte­einwanderungs­gesetz – kurz FEG – bringt viele Änderungen mit sich. Und ist nicht so leicht zu verstehen, insbesondere wenn man nicht aus Deutschland kommt. Welche Fragen beschäftigen Ihre Community am meisten?

Wir stehen täglich in direktem Kontakt mit neun Sprach-Communitys, denn unsere Informations- und Beratungs­angebote sind auf Arabisch, Deutsch, Englisch, Farsi, Französisch, Paschto, Russisch, Türkisch und Ukrainisch verfügbar. Die Bedürfnisse und Fragen unserer Communitys in Bezug auf das FEG sind mitunter sehr unterschiedlich.

Einige Themen treten jedoch in allen Sprach-Communitys oft auf. Vor allem gibt es viele Fragen zu den Neuerungen der Blauen Karte EU. Häufig erreichen uns auch Fragen zum Visum für Fachkräfte oder Arbeits­suchende, zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse und zum Thema Familien­zusammen­führung.

Auf der Website von Handbook Germany enthalten Migrant:innen Informationen auf neun Sprachen – auch über das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz.
Auf der Website von "Handbook Germany : Together" enthalten Migrant:innen Informationen auf neun Sprachen – auch über das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz. © Mosjkan Ehrari

Welche Besonderheiten innerhalb der Communitys gibt es?

Die Besonderheiten entstehen meistens aufgrund der politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse in den Herkunfts­ländern der Menschen. Ein Teil der Ratsuchenden verfügt über formell erworbene Kenntnisse und hohe Qualifikationen. Sie sind oft interessiert an Themen wie der Blauen Karte EU, der neuen Chancen­karte oder an der Anerkennung ihrer Qualifikationen für die Arbeits­suche.

Ein anderer Teil hatte aufgrund jahrelanger Kriege und Unruhen in den Herkunfts­ländern kaum Möglichkeiten, die formalen Voraus­setzungen für ein Fach­kräfte­visum zu erfüllen. Diese Menschen interessieren sich häufig für ein Visum zur Ausbildung oder zur Ausbildungs­suche. Diese Gruppe steht oft vor großen Hürden – es geht um Sprach­kenntnisse und die Sicherung des Lebens­unterhalts.

Es gibt mittlerweile rund 1,16 Million Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland. Welche Fragen in Bezug auf das FEG stellt dieser Gruppe am häufigsten?

Geflüchtete aus der Ukraine haben oft den vorüber­gehenden Schutz nach § 24 des Aufenthalt­gesetzes, der bis 2025 gültig ist. Viele haben seit 2022 Sprach­kenntnisse und Qualifikationen erlangt und wünschen sich, lang­fristig in Deutschland bleiben und arbeiten zu können. Sie interessieren sich oft für Informationen rund um den Aufenthalts­titel für qualifiziert Beschäftigte, zu Ausbildungen oder auch zur Blauen Karte EU.

Ukrainische Staatsbürger:innen erhalten Unterstützung bei der Einwanderung
Die bürokratischen Hürden für die Einwanderung sind hoch: Vieles läuft in Deutschland umständlich und noch immer in Papierform ab. © Getty Images

Erleichtert das neue FEG Ukrainer*innen, eine Aufenthalts­erlaubnis zur Beschäftigung zu erhalten?

Das FEG bietet Ukrainer*innen neue Möglichkeiten, ja. Doch viele, die sich an uns wenden, können die hohen Anforderungen dafür nicht erfüllen und profitieren daher nicht vom FEG. Ohne anerkannte Berufs- oder Hochschul­qualifikation sind die Möglichkeiten für einen Aufenthalts­titel zur Beschäftigung begrenzt. Eine große Hürde ist auch das im FEG geforderte Mindestgehalt, das für den deutschen Arbeitsmarkt utopisch ist.

Von den strengen Anerkennungs­voraus­setzungen sind aber nicht nur Menschen aus der Ukraine betroffen, sondern all unsere Communitys. In Deutschland wird unterschieden zwischen reglementierten und nicht reglementierten Berufen. Reglementiert sind zum Beispiel Medizin-, Rechts- oder Lehr­amts­berufe oder Berufe im öffentlichen Dienst. Wer in diesen Feldern arbeiten möchte, braucht eine Anerkennung der im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen. Vielen ist nicht bewusst, dass 25 Jahre Berufs­erfahrung als Ärzt*in oder Anwält*in im Herkunfts­land nicht automatisch ausreichen, um in Deutschland eine Anstellung zu finden.

Was ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz?

Das neue Fachkräfte­einwanderungs­gesetz erleichtert es Fachkräften mit Berufs­ausbildung und Personen mit berufs­praktischen Kenntnissen, nach Deutschland einzuwandern. Das Gesetz soll mehr Menschen den Zugang zur Blauen Karte EU ermöglichen – etwa indem der Personen­kreis der Berechtigten erweitert und die benötigten Gehalts­grenzen abgesenkt wurden. Zudem wurde die Liste von sogenannten Mangelberufen – also Berufe, in denen dringend Fachkräfte benötigt werden – erweitert.
Mehr Informationen zum FEG gibt es hier.

Um über das FEG zu informieren, haben Sie eine Reihe von Veranstaltungen durch­geführt. Was sind Ihre Erkenntnisse?

Genau, bis Mitte Mai 2024 haben wir das Projekt „Handbook Germany – Ausbildung im Fokus“ umgesetzt. Es ging uns zunächst darum, das Bewusst­sein für duale Ausbildungen zu schärfen. Aufgrund der Weiter­entwicklung des FEG haben wir auch seine neuen Möglichkeiten mit aufgegriffen. Die Veranstaltungen fanden digital und in neun Sprachen statt. So konnten wir unter­schiedlichste Expert*innen und Beratungs­stellen einbinden. Uns fiel dabei auf, dass viele Ratsuchende sehr konkrete und detaillierte Fragen hatten. Das zeigt, dass sie sich zuvor intensiv mit den Optionen auseinander­gesetzt haben. Die Menschen investieren viel Zeit und Geld, um sich eine Zukunft in Deutschland aufzubauen.

Was müsste sich politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich tun, um ausländischen Fachkräften mehr Chancen in Deutschland zu bieten?

Deutschland muss dringend bessere Bedingungen für Migration schaffen. Das kann nur durch umfassende strukturelle Transformationen und gezielte Maßnahmen in Richtung einer migrations­sensiblen Politik gelingen. Das Land muss die Fach­kräfte­einwanderung als Teil einer inklusiven, menschen­rechts­basierten Migrations­politik betrachten. Rassismus­kritische Haltungen müssen in einer offenen Gesellschaft Platz haben. Nur so kann Deutschland gesellschaftlich und wirtschaftlich profitieren.

Was heißt das konkret?

Ganz konkret heißt das: Für Menschen, die in Deutschland leben wollen, muss das Ankommen erleichtert werden. Die Gespräche mit unseren Communitys zeigen immer wieder, dass es zentrale Heraus­forderungen gibt, vor denen nahezu alle stehen: Die komplizierte und teure Anerkennung ausländischer Abschlüsse muss vereinfacht werden. Die oft überzogenen Sprach­anforderungen müssen realistisch und berufs­spezifisch angepasst werden. Bürokratische Hürden müssen abgebaut und die noch immer schleppende Digitalisierung in Fahrt gebracht werden.

Wir brauchen eine radikale Reform der bürokratischen Abläufe. Unsere Erfahrungen zeigen, dass eine direkte Arbeits­erlaubnis und der sofortige Zugang zu Sprach­kursen den Integrations­prozess erheblich fördern. Arbeits­verbote hingegen verzögern die Integration und gefährden zudem den sicheren Aufenthalt in Deutschland.


Handbook Germany : Together

Wie wird Deutschland zu einer neuen Heimat? Das Projekt „Handbook Germany : Together“ ist eine zentrale digitale Anlauf­stelle für Information, Austausch und Beratung für Menschen, die neu in Deutschland sind. In neun Sprachen bekommen sie wichtige Tipps zu aufenthalts­rechtlichen Fragen, Wohnen, Gesundheit, Kinder­­betreuung, Arbeit, Ausbildung, Studium und vielem mehr. Auch umfassende Informationen zum Fach­kräfte­­einwanderungs­­gesetz und mehr­­sprachige Online­infoveranstaltungen zur Fach­kräfte­­ein­wanderung werden vom Team des Projekts bereit­­gestellt.
Die Stiftung Mercator unter­stützt das Projekt.

handbookgermany.de
together-in-germany.de