„Die Wissenschaft zeichnet Landkarten des Wissens, die Politik steuert“

Gemeinsam gegen die Klimakrise aktiv: Wissenschaft und Politik
„Die Wissenschaft zeichnet Landkarten des Wissens, die Politik steuert“
Autor: Felix Jung 30.07.2024

Welche Maßnahmen gegen den Klimawandel funktionieren wirklich? Klima­folgen­forscher Jan Minx spricht im Gespräch mit AufRuhr über die Rolle der Wissenschaft in der Politik. Minx arbeitet am Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

Herr Minx, am MCC erforschen Sie die Wirkung von politischen Klima­schutz­maßnahmen. Wie gehen Sie dabei vor?

Minx: Wir konzentrieren uns darauf, Klimaschutz­maßnahmen mit den besten wissenschaftlichen Methoden auszuwerten. In einer aktuellen Metaanalyse haben wir beispiels­weise 20 CO2-Bepreisungs­systeme betrachtet. Wir konnten zeigen, dass die CO2-Einsparungen trotz geringer Preise groß waren. Diese Maßnahmen funktionieren also.

Die CO2-Bepreisung zielt auf Unternehmen ab. Wie werden Menschen zu Hause zum nach­haltigen Handeln animiert?

Wir haben auch die Effektivität verschiedener Anreizsysteme für Energie­einsparungen in Privat­haus­halten untersucht. Dabei haben wir Preis­anreize betrachtet, Ansätze wie den Social Comparison. Bei diesem sozialen Vergleich sehen die Haushalte, wie viel Energie sie im Vergleich zu ihren Nachbar*innen verbrauchen. Oder Feedback, bei dem regel­mäßig Informationen zum eigenen Energie­verbrauch bereit­gestellt werden. Die Studie zeigt, dass Preis­anreize am besten funktionieren, eine Kombination mit anderen Maßnahmen aber zusätzliche Energie­einsparungen bringt.

Und welche Maßnahmen funktionieren weniger?

Nehmen wir mal das Deutschlandticket. Hier ist die Frage, wie effektiv es tatsächlich CO2 einspart – und zu welchem Preis. Diese Frage ist viel komplizierter zu beantworten, denn das Ticket ist erst mal eine Subvention für die, die sowieso den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Zweifelsohne wird zusätzlich CO2 eingespart, aber diese CO2-Einsparungen sind sehr teuer. Das Deutschland­ticket kann zwar für die Transport­wende wichtig sein, aber nicht, um CO2 einzusparen.

Jan Minx
© Matti Hillig

Dr. Jan Minx leitet die MCC-Arbeits­gruppe „Angewandte Nach­haltigkeits­forschung“ und ist Gast­professor für Klima­wandel und öffentliche Politik am Priestley Centre for Climate Futures an der University of Leeds. Er bearbeitet ein breites Themen­spektrum in der Klima- und Nach­haltig­keits­politik.

Ist nicht das Wichtigste, dass überhaupt CO2 eingespart wird?

Es ist wichtig, die Frage der Effektivität von der Effizienz zu trennen. Nicht selten sind Klima­schutz­maßnahmen überhaupt nicht effizient, sondern fördern lediglich extrem teure CO2-Einsparungen. Wir müssen in Deutschland beim Klima­schutz mehr auf die Kosten achten, wenn wir Treib­haus­neutralität erreichen wollen.

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© stocksy

Welche Rolle spielen Wissenschaftler*innen bei der Politik­beratung?

Das MCC hat im Juni den What Works Climate Solutions Summit organisiert. Die Klima­forschung muss sich heute viel mehr mit Klima­politik­maßnahmen befassen. Wir müssen schauen, welche Maßnahmen funktionieren, wie gut, unter welchen Rahmen­bedingungen und warum. Wenn nun die Frage lautet, wie man als Wissenschaftler*in Politik­beratung betreiben sollte, dann ist die Auswertung des wissenschaftlichen Sachstandes zentral. Denn evidenz­basierte Klimapolitik sollte auf belastbaren wissenschaftlichen Einsichten beruhen.

Das klingt, als würden Sie die Beratung scheuen.

Als Wissenschaftler*innen zeichnen wir Landkarten des Wissens, Politik und Gesellschaft steuern. Das heißt: Es ist nicht an uns, zu sagen, was die Politik zu tun hat. Wir bewerten die Optionen auf transparente Art und Weise und so, dass die Wissens­land­karten genutzt werden können.

Wie reagiert die Politik auf diesen Vorschlag?

Die angesprochene Kultur des Auswertens fehlt uns in der Politik noch. Für die Wissenschaft spielt die Auswertung eine wichtige Rolle, doch die Politik will häufig gar nicht evaluiert werden. Das ist also der erste Schritt: Wir brauchen Evaluationen durch die Wissenschaft. Jede Politik­maßnahme bräuchte ein Budget, mit dem diese auch evaluiert werden könnte. Wenn wir auf evidenz­basierte Klima­politik umstellen wollen, wäre das für mich eine zentrale Vorgabe.

Haben Sie nicht den Wunsch, dass die Politik auf Basis Ihrer Forschung und Vorschläge handelt?

Natürlich sollte sie das, aber die Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft und Politik muss gewahrt bleiben. Wissen­schaftler*innen müssen alter­native Handlungs­optionen darstellen, Politiker*innen und Gesellschaft müssen sie bewerten und auswählen. Vorzugeben, dass die Politik dieses und jenes tun sollte, entspricht nicht meinem Bild von Politik und Demokratie. Zudem unterläuft es die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft – auch wenn die Politik oft konkrete Handlungs­empfehlungen einfordert.

Wissenschaftliche Institutionen sind zwar nicht gewählt, trotzdem schlägt ihnen in den vergangenen Jahren dieselbe Skepsis wie der Politik entgegen. Kommen Sie mit Anti­intellektualismus und postfaktischen Einstellungen in Ihrer Arbeit in Kontakt?

Meine Kolleg*innen in der Klimaphysik haben am meisten damit zu tun. Dort versuchen Wissen­schafts­leugner*innen häufig, ganz bewusst Unsicherheiten zu schaffen. Sprich: Gibt es den Klimawandel überhaupt? Und es gibt immer mehr Leute, die sogenannte Klima­folgen­skeptiker*innen sind. Sie leugnen nicht den Klima­wandel selbst, sondern behaupten, die Folgen seien nicht so schlimm. Das ist versteckter, funktioniert aber auch durch wissenschafts­feindliches Argumentieren und die Verbreitung von Falsch­informationen.

Wie gehen Sie mit solchen Einstellungen um?

Wir müssen dahin kommen, dass wissenschaftliche Ergebnisse keine Fragen des Glaubens sind. Und genau das ist das Ziel von Forschungs­synthese: ganz klar zu benennen, wie belastbar Forschungs­ergebnisse sind und was sie uns sagen. Gerade jetzt, im Zeit­alter des Post­faktischen, müssen wir noch besser darin werden, die Evidenz sehr sorgfältig aufzuarbeiten und zusammen­zu­fassen. Das Einzige, was wir tun können, ist, alles transparent und methodisch sauber aufzuarbeiten. Und ich glaube, das ist immer das Entwaffnendste.


Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) ist eine gemeinsame Gründung der Stiftung Mercator und des Potsdam Instituts für Klima­folgen­forschung (PIK). Es befasst sich mit den großen Heraus­­forderungen des Klima­­wandels und der Nutzung globaler Gemein­schafts­­güter. Seine Forschung ist vor allem in den Wirtschafts- und Sozial­wissenschaften beheimatet. Das MCC bietet wissenschaftliche Beratung und möchte relevante Problem­­lösungen für die Politik identifizieren.
www.mcc-berlin.net