Grünes Weimarer Dreieck: „Gute Gesetze entziehen Popu­list*innen die Kraft“

Grünes Weimarer Dreieck: „Gute Gesetze entziehen Popu­list*innen die Kraft“
Autor: Felix Jung 27.08.2024

Europa soll bis 2050 klimaneutral werden, verfehlt jedoch aktuell seine selbst gesetzten Ziele. Ein neues klima­poli­tisches Bündnis zwischen Deutschland, Frankreich und Polen will das ändern. Mit AufRuhr sprachen Sylwia Andralojc-Bodych und Marion Guénard von Germanwatch über ungewöhnliche Methoden, Klima­politik voran­zubringen. Und darüber, wie man optimistisch bleibt.

AufRuhr: Frau Andralojc-Bodych, Frau Guénard, bei Germanwatch setzen Sie sich für die klimapolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Frankreich und Polen ein. Was macht Ihre Initiative besonders?

Sylwia Andralojc-Bodych: Wir bringen Regierungs­vertre­ter*innen, Thinktanks und Wirtschafts­­vertre­ter*innen in einer sogenannten Vertrauens­gruppe zusammen. Das bedeutet, dass sich die Gruppe nicht ändert und bewusst klein bleibt, damit wir genügend Zeit für einen tiefen klima­poli­tischen Austausch abseits von Brüssel haben. Derzeit besteht die Gruppe aus ungefähr fünf bis sechs Personen pro Land.

Marion Guénard: Der Austausch in dieser Gruppe ist vertraulich und darf nicht nach außen getragen werden. Wenn wir beispiels­weise Empfehlungen an Ministerien aussprechen, werden diese anonymisiert weitergegeben. Es soll dabei nur um den Inhalt und nicht darum gehen, von wem die Empfehlungen stammen.

Warum ausgerechnet Deutschland, Frankreich und Polen?

Sylwia Andralojc-Bodych: Ehrlicher­weise muss man sagen, dass die Idee, diese drei Länder zusammen­zubringen, nicht neu ist. Das Weimarer Dreieck existiert als Format bereits seit 33 Jahren. Gegründet wurde es ursprünglich, um außenpolitische Themen gemeinsam zu besprechen und Polen näher an die EU zu bringen.

Sylwia Andralojc-Bodych
© Stefanie Loos

Sylwia Andralojc-Bodych ist Referentin für EU-Klima­politik und polnisch-deutsche Klima­­zusam­men­arbeit bei Germanwatch. Sie ist Expertin für Klima- und Energie­politik sowie für das deutsche Recht und Rechtssystem.

Marion Guénard: Klima­politisch haben die Länder eine besondere Bedeutung, da sie zusammen fast die Hälfte der Emissionen in Europa verursachen. Wenn diese drei Länder also die Trans­formation schaffen, wird das zu schnellen Emissions­reduk­tionen für ganz Europa führen. Zudem sind die Länder unerlässlich, um im Rat der Europäischen Union eine qualifi­zierte Mehrheit zu erreichen, die ambi­tionierte Klima­gesetze ermöglichen kann.

Hatte das Weimarer Dreieck schon immer einen Fokus auf Klimapolitik?

Sylwia Andralojc-Bodych: Nein, ursprünglich ging es hauptsächlich um außen­poli­tische Fragen und eine geopolitisch starke EU. Vor Russlands Angriffs­krieg gegen die Ukraine passierte zudem jahrelang wenig im Weimarer Dreieck. Der Regie­rungs­wechsel in Polen Ende 2023 hat einen Neuanfang ermöglicht. Das Weimarer Dreieck wurde wiederbelebt und bespielt nun auch klima­poli­tische Themen. Die Initiative „Grünes Weimarer Dreieck“, die Germanwatch mit Vertreter*innen führender Thinktanks, Umweltorganisationen und wissen­schaftlicher Insti­tutionen in Deutschland, Frankreich und Polen gefordert hatte, wurde im Mai von den jeweiligen Außen­minister*innen ins Leben gerufen.

Wie unterscheidet sich die Klimapolitik der drei Länder?

Marion Guénard: Die EU gibt zwar den Takt für die Klima­politik vor. Doch wie die Maßnahmen umgesetzt werden, bleibt den Mit­glied­staaten überlassen. Das französische General­sekre­tariat für ökologische Planung, das dem Premier­minister unterstellt ist, koordiniert die nationale Strategie und die Zusammen­arbeit der Ministerien in den Bereichen Klima, Energie, Biodi­versität und Kreis­lauf­wirt­schaft. Außerdem setzt sich Frankreich in der EU stark für Technologie­neutralität ein, um seine Atom­industrie zu schützen.

Sylwia Andralojc-Bodych: In Polen spielte Klimapolitik bis vor einigen Jahren kaum eine Rolle. Die Debatte über Luftverschmutzung brachte das Thema ins Bewusstsein. Hierfür gibt es mittlerweile Förderprogramme und Initiativen. Aber auf EU-Ebene zählt Polen zu den konservativeren Ländern, die Klimapolitik skeptisch gegenüberstehen.

Marion Guénard
© Stefanie Loos

Marion Guénard ist Referentin für EU-Klimapolitik und französisch-deutsche Klima­zusam­men­arbeit bei Germanwatch. Sie ist Expertin für Klima- und Energie­politik und berät seit sieben Jahren lokale und nationale Regierungen zu ihrer Klimapolitik.

Sylwia Andralojc-Bodych (links im Bild) im Gespräch über die deutsch-polnische Klimazusammenarbeit. © Stefanie Loos

Und Deutschland?

Marion Guénard: Deutschland setzt ganz klar auf erneuer­bare Energien, Industrie­politik und CO2-Bepreisung, um die Klima­ziele zu erreichen. Als Exportnation ist Deutschland weit weniger an protek­tionis­tischen Maßnahmen zum Schutz der europäischen Märkte interessiert als Frankreich. Deutschland hat also geringere Bestrebungen, inländische Anbieter vor ausländischer Konkurrenz zu schützen als Frankreich.

Klimaschutz ist eine gemeinsame Aufgabe und die Klimakrise unsere gemeinsame Herausforderung.

Sylwia Andralojc-Bodych

Was haben die Länder gemeinsam?

Marion Guénard: Leider verfehlen die drei Länder einige EU-Klima- und Energieziele. Deutschland etwa verfehlt deutlich die EU-Ziele der Klima­schutz­verordnung wegen fehlender Maßnahmen in den Sektoren Verkehr und Gebäude. Auch Frankreich und Polen haben Schwierig­keiten, diese Ziele zu erreichen. Frankreich weigert sich, Ziele im Bereich erneuerbare Energie zu setzen, und spricht stattdessen von „dekarbo­nisierter Energie“.

Sylwia Andralojc-Bodych: Polen hat immerhin bis 2020 die Ziele für erneuerbare Energie knapp erreicht. Was die drei Länder außerdem verbindet, ist die Bereitschaft, miteinander zu arbeiten. Entschei­dungs­träger*innen, zivil­gesell­schaft­liche Akteur*innen, Thinktanks und Unternehmen arbeiten bereits im Bereich Klimaschutz erfolgreich zusammen.

Marion Guénards Expertise spricht über die Herausforderungen der deutsch-französischen Kollaboration im Bereich Klimaschutz. © Stefanie Loos

Welche Ziele verfolgen Sie mit der trinationalen Zusammenarbeit?

Sylwia Andralojc-Bodych: Klimaschutz ist eine gemeinsame Aufgabe und die Klimakrise unsere gemeinsame Heraus­forderung. Wir wollen die europäische Klima­politik weiter­entwickeln und die Klimaziele erreichen. Wir wollen sicher­stellen, dass die drei Länder im Vorfeld gemeinsam darüber sprechen und ein Verständnis fürein­ander entwickeln. Es geht nicht immer um Kompromisse, sondern um gute Zusammenarbeit.

Marion Guénard: Diese Zusammen­arbeit wünschen sich auch Umwelt­verbände und Unternehmen in den drei Ländern. Wenn man frühzeitig Klima­gesetze mit Stake­holder*innen bespricht, wenn sie gemeinsam mit ihnen entwickelt werden, werden viele verschiedene Perspektiven von Anfang an berücksichtigt. Das schafft Legitimität. Durch diese Legiti­mität werden Gesetze weniger angreifbar, und Populist*innen wird die Kraft entzogen. Daran sollten die drei Länder ein Interesse haben.


Germanwatch

Germanwatch ist eine unabhängige Umwelt-, Entwick­lungs- und Menschen­rechts­organ­isation, die sich seit über 30 Jahren für eine zukunfts­fähige globale Entwick­lung einsetzt. Die Organisation schafft Transparenz über die globalen Auswirkungen unseres Lebens- und Wirt­schafts­stils, vernetzt sich mit von der Klima­krise betroffenen Menschen und engagiert sich für nachhaltige Lebens- und Wirtschafts­modelle.

www.germanwatch.org/de