Digital bezahlen – wie gefährlich sind Apple Pay und Co.?

Bezahlen mit dem Smartphone wird immer beliebter – auch in Deutschland.
Digital bezahlen – wie gefährlich sind Apple Pay und Co.?
Autor: Felix Jung 25.06.2024

Seit Big Techs wie Google, Apple oder Alibaba mit eigenen Finanz­dienst­leistungen auf den europäischen Markt drängen, ist das Bezahlen mit dem Smartphone einfacher denn je. Auch bei der Fußball-Europa­meister­schaft 2024 tritt das chinesische Alipay als Sponsor auf. Doch die Dienste stehen in der Kritik, zielt die gängige Regulierung doch auf traditionelle Finanz­dienst­leister ab und nicht auf Big Techs. Sind sie für Verbraucher*innen wirklich sicher?

Im Interview erklären Carolina Melches und Gerhard Schick von Finanz­wende Recherche, welche Risiken für Verbraucher*innen und die Demokratie von Big Techs im Finanz­sektor ausgehen. Und wie die Politik gegen­steuern sollte.

Herr Schick, mit Ihrer Bürger­bewegung Finanzwende waren Sie erst kürzlich in den Medien im Kampf gegen den Finanz­lobbyismus. Passend zum aktuellen Fußball-EM-Sponsor Alipay nimmt sich deren Tochter­gesellschaft Finanz­wende Recherche die zunehmende Vormachtstellung von Big Techs im Finanz­sektor vor. Was sind Ihre Ziele?

Gerhard Schick: Als Finanz­wende Recherche setzen wir uns für faire und nach­haltige Finanz­märkte ein. Wir verstehen uns als zivil­gesellschaftliches Korrektiv, das für Aufklärung und kritische Debatten sorgt – mit Konzepten, Analysen und Studien für eine breite Öffentlichkeit. Besonders jetzt, wo Alipay die UEFA mit 200 Millionen Euro über acht Jahre sponsert, braucht es eine kritische Einordnung.

Frau Melches, wie sehen Sie die Entwicklung, dass immer mehr Big-Tech-Unternehmen mit eigenen Finanz­dienst­leistungen wie Apple Pay, Google Pay oder Alipay in den europäischen Markt vordringen?

Carolina Melches: Im ersten Schritt ist das für die Verbraucher*innen etwas Positives. Denn mit Finanz­innovationen kommen bequeme und attraktive Bezahl­möglichkeiten auf den Markt. Was aller­dings die dahinter­stehenden Big Techs und die Risiken angeht, läuft bisher vieles unter dem Radar und hätte mehr Aufmerksamkeit verdient.

Zum Beispiel?

Melches: Das Problem ist in erster Linie, dass die im Rahmen der neuen Finanz­dienst­leistungen erhobenen Daten mit Daten aus dem Haupt­geschäft der Big Techs zusammen­gepuzzelt werden könnten. Dadurch erhalten die Anbieter ein viel umfangreicheres Bild der Nutzer*innen und Konsument*innen. Und das kann dazu führen, dass ihnen immer wieder sowohl optimierte als auch neuartige Finanz­produkte angeboten werden können. Die Nutzer*innen werden auf diese Weise sehr eng an einen bestimmten Anbieter gebunden, sodass auf dessen Plattform ein sogenannter „Lock-in-Effekt“ entsteht. Nutzer*innen könnte also der Wechsel zu anderen Anbietern erschwert werden.

Herr Schick, wie sehen Sie die Situation?

Schick: Wenn es um Macht im Finanzs­ektor geht, wäre es falsch, nur auf die Banken zu schauen. Big Techs wie Apple oder Alibaba sind heute schon zu groß und zu mächtig. Das neue Angebot von Finanz­diensten wird ihre Macht nur noch vergrößern, bisher hat das aber kaum jemand auf dem Schirm. Deshalb braucht es eine entsprechende Aufklärung und in der Folge klare Regeln, um Menschen, Markt und Demokratie zu schützen.

Gerhard Schick
© Thomas Hedrich

Gerhard Schick ist promovierter Volks­wirt, ehemaliges Mitglied des Bundes­tages sowie Mit­initiator und geschäfts­führender Vorstand des Vereins Finanz­wende Recherche. Er hat sein Bundes­tags­mandat für die Arbeit in der Nicht­regierungs­organisation zum 31. Dezember 2018 nieder­gelegt.

Carolina Melches ist Ökonomin und arbeitet bei Finanz­wende Recherche an den Themen Digitalisierung im Finanz­sektor, Finanz­innovation und FinTech. Nach ihrem Studium in den Fächern Public Policy und Volks­wirtschaft war sie im Bundes­tag mehrere Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Themen Wirtschafts- und Finanz­politik mit dem Schwer­punkt auf Banken- und Finanz­markt­regulierung sowie Finanz­innovationen und FinTech zuständig.

Die Big Techs werden in diesem Zusammenhang als „Schatten­banken“ bezeichnet. Was kann man sich darunter vorstellen?

Melches: Big Techs wickeln ihr Finanzgeschäft heute in Kooperation mit lizenzierten Banken ab. Das heißt, sie über­nehmen nur einen Teil der Banken­funktionen, zum Beispiel die Kredit­vermittlung. Die Kredit­über­nahme und auch die Bilanzierung erfolgen aber über die Partner­bank. Im Gegen­zug erhalten die Big Techs Provisionen und Finanz­daten. Die Big Techs treten für Nutzer*innen quasi als Bank auf, weil beim Bezahl­vorgang und anderen finanz­bezogenen Aktivitäten das Interface des jeweiligen Big Techs zu sehen ist, dahinter aber eine kooperierende Bank steht. Und sollten Millionen von Menschen nur noch über Big Techs an ihre Finanz­mittel heran­kommen, könnten technische Probleme wie Cyber­angriffe oder andere Störungen von systemischer Bedeutung sein.

Immer mehr Menschen laden ihre EC- und Kreditkarten in ihr digitales Wallet.
Immer mehr Menschen laden ihre EC- und Kreditkarten in ihr digitales Wallet. © unsplash

In Ihrer kürzlich erschienenen Studie warnen Sie vor der Vormacht­stellung der Big Techs im Finanz­sektor. Sind die Tech­riesen eine Gefahr für den fairen Wettbewerb?

Melches: Die Big Techs haben den großen Vorteil, dass sie aus ihrem Kern­geschäft einen enormen Kunden­stamm mitbringen und riesige technologische und finanzielle Kapazitäten haben. Sie können ihr neues Finanz­produkt ab Tag eins Millionen Kund*innen anbieten. Ein kleines Start-up hingegen hat am Anfang ein großes Risiko zu tragen und muss erst einmal Kund*innen gewinnen. Diese ungleichen Ressourcen verzerren den Wettbewerb.

Besteht eine Gefahr für die Demokratie?

Melches: Während der Erarbeitung der Plattform­gesetze der EU in den letzten Jahren haben wir gesehen, dass die Big Techs extrem aktiv sind, wenn es um Lobby­arbeit geht. Sie verwenden viele Ressourcen dafür, durch Thinktanks, Anwalts­kanzleien und andere Aktivitäten die Gesetze in ihrem Sinne zu beeinflussen. Und das steht jedem demokratischen Grundprinzip entgegen. Es ist auch nicht aus­zu­schließen, dass in Zukunft ein neuer Versuch gestartet wird, eine Big-Tech-Währung als Konkurrenz zum Euro ein­zu­führen, so wie wir es schon bei Facebooks Libra beziehungs­weise Diem gesehen haben. Schlimmsten­falls könnten Big Techs mit einer eigenen Währung zur Gefahr für die politische Souveränität oder die Hoheit über das europäische Währungs­system werden.

Welche Effekte erhoffen Sie sich von Ihrer neuen Studie?

Schick: Die Expansion der Big Techs in die Finanzwelt verläuft heute weit­gehend unbemerkt. Auch die Gesetz­gebung hat noch nicht ausreichend darauf reagiert. Die Studie soll das gesellschaftliche Bewusst­sein stärken und Diskussionsgrundlage sein, um dem unkontrollierten Macht­ausbau der Big Techs etwas entgegenzusetzen.

Sie haben in Ihrer Studie Handlungs­empfehlungen für den Umgang mit Big Techs im Finanz­sektor erarbeitet. Was raten Sie der EU?

Melches: Aus unserer Sicht gibt es drei Wege. Erstens: Die EU könnte ein maß­geschneidertes Regulierungs­programm für jedes Big Tech auf­setzen. Das wäre aller­dings sehr komplex und lang­wierig umzusetzen. Ein zweiter Weg wäre, Finanz­dienst­leistungen von Big Techs schlicht­weg zu verbieten. Hierfür müsste man fordern, dass jeder Finanz­dienst eines Big Techs abgespalten und in eine eigene Firma mit entsprechenden Lizenzen und Auflagen umgewandelt wird. Der dritte Weg ist der von uns bevorzugte: Alle Finanz­aktivitäten der Big Techs werden in einer Finanz­holding­gesellschaft gruppiert, die dann der Finanz­aufsicht unterstellt wird. Auf diese Weise können sowohl die Aktivitäten beaufsichtigt als auch der Daten­austausch und die Nutzung der Technologien zwischen den Konzern­sparten im Auge behalten werden.


Finanzwende Recherche

Finanzwende Recherche ist eine gemein­nützige Tochter­gesellschaft der Bürger­bewegung Finanzwende. Die Organisation hat sich das Ziel gesetzt, für Aufklärung und eine kritische Auseinander­setzung im Finanz­markt­bereich zu sorgen. Die Denk­fabrik arbeitet Konzepte, Analysen und Studien rund um unterschiedliche Themen aus und bereitet diese für Öffentlichkeit und Politik auf.
www.finanzwende-recherche.de