„Kein Schulterschluss der Rechten – noch nicht“

Versammlung der rechten EU-Parteien in Mailand
„Kein Schulterschluss der Rechten – noch nicht“
Autor: Matthias Klein 15.05.2019

Seit Monaten versuchen rechtspopulistische Parteien aus ganz Europa, eine gemeinsame Bewegung zu bilden. „Es gibt nach wie vor Differenzen bei zentralen Themen und der Strategie“, sagt Hans Vorländer, Direktor des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM). Ob die Rechts­populisten eine gemeinsame Fraktion bilden, werde vom Ergebnis der Europawahl abhängen.

Herr Vorländer, die Europawahlen stehen kurz bevor. Rechtspopulisten aus ganze Europa streben eine Internationale der Nationalisten an – wie weit sind sie damit gekommen?

Hans Vorländer: Wir sehen, dass die Gruppierungen weiter nach einer gemeinsamen Basis suchen. Es gibt nach wie vor Differenzen bei zentralen Themen und der Strategie. Der Treiber ist weiter der italienische Innenminister Matteo Salvini mit seiner Partei Lega. Er wirbt um Viktor Orbán und seine Fidesz, war damit aber noch nicht erfolgreich. Es gibt noch keinen umfassenden Schulterschluss der Rechtspopulisten Europas. Orbán hält sich alle Türen offen. Er provoziert, er tut eigentlich alles, um aus der Europäischen Volkspartei (EVP) ausgeschlossen zu werden. Aber er vollzieht diesen Schritt nicht selbst, er schließt sich nicht den anderen Rechtspopulisten an. Ich bin der Meinung, dass er das tut, um sich als Opfer darzustellen, sollte ihn die EVP endgültig ausschließen, denn damit könnte er seine Kampagne stärken. Aber die EVP tut ihm diesen Gefallen bislang nicht.

Sie sprechen inhaltliche Differenzen an, ist da nach wie vor die Migrationspolitik die entscheidende Frage?

Vorländer: Ja. Es ist immer noch unklar, wie die Interessen zusammenzubringen sind: Italien will die Migranten auf alle Staaten Europas verteilen, die osteuropäischen Länder sind dazu nicht bereit. Als Salvini kürzlich bei Orbán zu Gast war, gingen sie symbolisch aufgeladen ein Stück an dem Zaun entlang, den Orbán im Herbst 2015 an der Grenze zu Serbien hatte errichten lassen, um Flüchtlinge aufzuhalten. Sie stellten es so dar, dass sie gemeinsam für die Sicherung der Außengrenzen eintreten, um eine Abschottung Europas zu erreichen. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie keine gemeinsame Position in der Flüchtlingspolitik haben.

Portrait von Hans Vorländer
© André Wirsig

Prof. Dr. Hans Vorländer
Prof. Dr. Hans Vorländer ist Direktor des Mercator Forums für Migration und Demokratie (MIDEM). Er ist Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden.

Gibt es andere Themen, bei denen sich die Rechtspopulisten nicht einig werden?

Vorländer: Wichtig sind ansonsten Differenzen in der Ökonomie. Die osteuropäischen Länder, vor allem Polen und Tschechien, sind prosperierende Volkswirtschaften. Die Rechtspopulisten dieser Länder stehen neoliberalen Vorstellungen nahe. In Italien sieht das ganz anders aus, Salvini ist auf die Hilfsgelder der EU angewiesen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Rechtspopulisten nach der Wahl eine gemeinsame Fraktion im Parlament bilden?

Vorländer: Im Augenblick ist das konservativ-rechte Lager ja auf vier Fraktionen aufgeteilt. Wer sich nach der Wahl wie zusammenfindet, ist eine offene Frage. Sicher ist, dass die AfD und Marine Le Pen mit ihrem Rassemblement National mit der Lega bei einer rechtspopulistischen Fraktion mitmachen werden. Ich denke, es hängt alles davon ab, ob die Rechtspopulisten nach der Wahl die rechnerische Chance haben, die zweitstärkste Kraft nach der EVP zu werden. Wenn das möglich ist, werden sie sich einig werden und zusammenschließen. Dann wird sich auch Orbán anschließen, um den Einfluss in Brüssel zu nutzen – auch wenn das auf Kosten seiner Eigenständigkeit geht, denn innerhalb der EVP bekommt er für seine Provokationen viel mehr Aufmerksamkeit.

Auch für die Populisten war der Brexit-Prozess ein heilsamer Schock.

Was bedeutet die Uneinigkeit der Rechtspopulisten für den Wahlkampf?

Vorländer: Das verändert kaum etwas. Populisten machen Wahlkampf für ihr nationales Publikum, die Europawahlen sind in diesem Sinne nationale Nebenwahlen mit einer europäischen Auswirkung.

Populisten stellen sich traditionell als Anti-Establishment-Parteien auf, was bedeutet das mit Blick auf die EU-Skepsis?

Vorländer: Die Populisten stellen sich nicht mehr grundsätzlich gegen die EU auf, auch Orbán und Salvini wollen auf die Transferleistungen der EU nicht verzichten. Hinzu kommt, dass laut Umfragen viele Menschen Europa positiv sehen. Es geht darum, die EU in die eine oder andere Richtung zu verschieben: mehr Europa oder wieder mehr Nationalstaat? Auch für die Populisten war der Brexit-Prozess ein heilsamer Schock. Es ist deutlich geworden, dass es erstens sehr schwer ist, aus der EU herauszukommen, und zweitens die Vorteile überwiegen.

Im Wahlkampf setzen die Rechtspopulisten weiter stark auf das Thema Migrationspolitik – können sie damit Stimmen gewinnen?

Vorländer: Wir sehen, dass das Thema nicht mehr die überragende Bedeutung hat wie noch vor zwei, drei Jahren – aber es gehört nach wie vor zu den wichtigsten Themen für die Wähler*innen. Die Rechtspopulisten versuchen, Ängste zu schüren, um damit die Polarisierung aufrechtzuerhalten. Sie wollen damit ihre Anhänger*innen mobilisieren. Ob das gelingt, kann man meines Erachtens momentan noch nicht sagen.

Einige Akteure sprechen von einer „Schicksalswahl“ – halten Sie eine solche Zuspitzung für hilfreich?

Vorländer: Dieses Mal gibt es eine Besonderheit: Es geht im Wahlkampf um Europa selbst. Ich bin der Ansicht, dass zuletzt ein stärkeres Europabewusstsein entstanden ist, gerade durch den Brexit-Prozess. Die große Trennlinie ist: Setzen die Parteien auf das Nationale, auf die Stärkung des Nationalstaats oder vertreten sie die Ansicht, dass Probleme nur durch gemeinsame Strategien gelöst werden können. Oder anders gesagt: Es geht darum, ob es mehr Europa oder weniger Europa geben soll. Insofern ist es die Wahl eine Richtungsentscheidung, aber keine Schicksalswahl.

Mercator Forum Migration und Demokratie

Das Mercator Forum für Migration und Demokratie (MIDEM) fragt danach, wie Migration demokratische Politiken, Institutionen und Kulturen prägt und zugleich von ihnen geprägt wird. Untersucht werden Formen, Instrumente und Prozesse politischer Verarbeitung von Migration in demokratischen Gesellschaften.

https://forum-midem.de/