Digital bezahlen – wie gefährlich sind Apple Pay und Co.?
Seit Big Techs wie Google, Apple oder Alibaba mit eigenen Finanzdienstleistungen auf den europäischen Markt drängen, ist das Bezahlen mit dem Smartphone einfacher denn je. Auch bei der Fußball-Europameisterschaft 2024 tritt das chinesische Alipay als Sponsor auf. Doch die Dienste stehen in der Kritik, zielt die gängige Regulierung doch auf traditionelle Finanzdienstleister ab und nicht auf Big Techs. Sind sie für Verbraucher*innen wirklich sicher?
Im Interview erklären Carolina Melches und Gerhard Schick von Finanzwende Recherche, welche Risiken für Verbraucher*innen und die Demokratie von Big Techs im Finanzsektor ausgehen. Und wie die Politik gegensteuern sollte.
Herr Schick, mit Ihrer Bürgerbewegung Finanzwende waren Sie erst kürzlich in den Medien im Kampf gegen den Finanzlobbyismus. Passend zum aktuellen Fußball-EM-Sponsor Alipay nimmt sich deren Tochtergesellschaft Finanzwende Recherche die zunehmende Vormachtstellung von Big Techs im Finanzsektor vor. Was sind Ihre Ziele?
Gerhard Schick: Als Finanzwende Recherche setzen wir uns für faire und nachhaltige Finanzmärkte ein. Wir verstehen uns als zivilgesellschaftliches Korrektiv, das für Aufklärung und kritische Debatten sorgt – mit Konzepten, Analysen und Studien für eine breite Öffentlichkeit. Besonders jetzt, wo Alipay die UEFA mit 200 Millionen Euro über acht Jahre sponsert, braucht es eine kritische Einordnung.
Frau Melches, wie sehen Sie die Entwicklung, dass immer mehr Big-Tech-Unternehmen mit eigenen Finanzdienstleistungen wie Apple Pay, Google Pay oder Alipay in den europäischen Markt vordringen?
Carolina Melches: Im ersten Schritt ist das für die Verbraucher*innen etwas Positives. Denn mit Finanzinnovationen kommen bequeme und attraktive Bezahlmöglichkeiten auf den Markt. Was allerdings die dahinterstehenden Big Techs und die Risiken angeht, läuft bisher vieles unter dem Radar und hätte mehr Aufmerksamkeit verdient.
Zum Beispiel?
Melches: Das Problem ist in erster Linie, dass die im Rahmen der neuen Finanzdienstleistungen erhobenen Daten mit Daten aus dem Hauptgeschäft der Big Techs zusammengepuzzelt werden könnten. Dadurch erhalten die Anbieter ein viel umfangreicheres Bild der Nutzer*innen und Konsument*innen. Und das kann dazu führen, dass ihnen immer wieder sowohl optimierte als auch neuartige Finanzprodukte angeboten werden können. Die Nutzer*innen werden auf diese Weise sehr eng an einen bestimmten Anbieter gebunden, sodass auf dessen Plattform ein sogenannter „Lock-in-Effekt“ entsteht. Nutzer*innen könnte also der Wechsel zu anderen Anbietern erschwert werden.
Herr Schick, wie sehen Sie die Situation?
Schick: Wenn es um Macht im Finanzsektor geht, wäre es falsch, nur auf die Banken zu schauen. Big Techs wie Apple oder Alibaba sind heute schon zu groß und zu mächtig. Das neue Angebot von Finanzdiensten wird ihre Macht nur noch vergrößern, bisher hat das aber kaum jemand auf dem Schirm. Deshalb braucht es eine entsprechende Aufklärung und in der Folge klare Regeln, um Menschen, Markt und Demokratie zu schützen.
Gerhard Schick ist promovierter Volkswirt, ehemaliges Mitglied des Bundestages sowie Mitinitiator und geschäftsführender Vorstand des Vereins Finanzwende Recherche. Er hat sein Bundestagsmandat für die Arbeit in der Nichtregierungsorganisation zum 31. Dezember 2018 niedergelegt.
Carolina Melches ist Ökonomin und arbeitet bei Finanzwende Recherche an den Themen Digitalisierung im Finanzsektor, Finanzinnovation und FinTech. Nach ihrem Studium in den Fächern Public Policy und Volkswirtschaft war sie im Bundestag mehrere Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Themen Wirtschafts- und Finanzpolitik mit dem Schwerpunkt auf Banken- und Finanzmarktregulierung sowie Finanzinnovationen und FinTech zuständig.
Die Big Techs werden in diesem Zusammenhang als „Schattenbanken“ bezeichnet. Was kann man sich darunter vorstellen?
Melches: Big Techs wickeln ihr Finanzgeschäft heute in Kooperation mit lizenzierten Banken ab. Das heißt, sie übernehmen nur einen Teil der Bankenfunktionen, zum Beispiel die Kreditvermittlung. Die Kreditübernahme und auch die Bilanzierung erfolgen aber über die Partnerbank. Im Gegenzug erhalten die Big Techs Provisionen und Finanzdaten. Die Big Techs treten für Nutzer*innen quasi als Bank auf, weil beim Bezahlvorgang und anderen finanzbezogenen Aktivitäten das Interface des jeweiligen Big Techs zu sehen ist, dahinter aber eine kooperierende Bank steht. Und sollten Millionen von Menschen nur noch über Big Techs an ihre Finanzmittel herankommen, könnten technische Probleme wie Cyberangriffe oder andere Störungen von systemischer Bedeutung sein.
In Ihrer kürzlich erschienenen Studie warnen Sie vor der Vormachtstellung der Big Techs im Finanzsektor. Sind die Techriesen eine Gefahr für den fairen Wettbewerb?
Melches: Die Big Techs haben den großen Vorteil, dass sie aus ihrem Kerngeschäft einen enormen Kundenstamm mitbringen und riesige technologische und finanzielle Kapazitäten haben. Sie können ihr neues Finanzprodukt ab Tag eins Millionen Kund*innen anbieten. Ein kleines Start-up hingegen hat am Anfang ein großes Risiko zu tragen und muss erst einmal Kund*innen gewinnen. Diese ungleichen Ressourcen verzerren den Wettbewerb.
Besteht eine Gefahr für die Demokratie?
Melches: Während der Erarbeitung der Plattformgesetze der EU in den letzten Jahren haben wir gesehen, dass die Big Techs extrem aktiv sind, wenn es um Lobbyarbeit geht. Sie verwenden viele Ressourcen dafür, durch Thinktanks, Anwaltskanzleien und andere Aktivitäten die Gesetze in ihrem Sinne zu beeinflussen. Und das steht jedem demokratischen Grundprinzip entgegen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass in Zukunft ein neuer Versuch gestartet wird, eine Big-Tech-Währung als Konkurrenz zum Euro einzuführen, so wie wir es schon bei Facebooks Libra beziehungsweise Diem gesehen haben. Schlimmstenfalls könnten Big Techs mit einer eigenen Währung zur Gefahr für die politische Souveränität oder die Hoheit über das europäische Währungssystem werden.
Welche Effekte erhoffen Sie sich von Ihrer neuen Studie?
Schick: Die Expansion der Big Techs in die Finanzwelt verläuft heute weitgehend unbemerkt. Auch die Gesetzgebung hat noch nicht ausreichend darauf reagiert. Die Studie soll das gesellschaftliche Bewusstsein stärken und Diskussionsgrundlage sein, um dem unkontrollierten Machtausbau der Big Techs etwas entgegenzusetzen.
Sie haben in Ihrer Studie Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Big Techs im Finanzsektor erarbeitet. Was raten Sie der EU?
Melches: Aus unserer Sicht gibt es drei Wege. Erstens: Die EU könnte ein maßgeschneidertes Regulierungsprogramm für jedes Big Tech aufsetzen. Das wäre allerdings sehr komplex und langwierig umzusetzen. Ein zweiter Weg wäre, Finanzdienstleistungen von Big Techs schlichtweg zu verbieten. Hierfür müsste man fordern, dass jeder Finanzdienst eines Big Techs abgespalten und in eine eigene Firma mit entsprechenden Lizenzen und Auflagen umgewandelt wird. Der dritte Weg ist der von uns bevorzugte: Alle Finanzaktivitäten der Big Techs werden in einer Finanzholdinggesellschaft gruppiert, die dann der Finanzaufsicht unterstellt wird. Auf diese Weise können sowohl die Aktivitäten beaufsichtigt als auch der Datenaustausch und die Nutzung der Technologien zwischen den Konzernsparten im Auge behalten werden.
Finanzwende Recherche
Finanzwende Recherche ist eine gemeinnützige Tochtergesellschaft der Bürgerbewegung Finanzwende. Die Organisation hat sich das Ziel gesetzt, für Aufklärung und eine kritische Auseinandersetzung im Finanzmarktbereich zu sorgen. Die Denkfabrik arbeitet Konzepte, Analysen und Studien rund um unterschiedliche Themen aus und bereitet diese für Öffentlichkeit und Politik auf.
www.finanzwende-recherche.de